Der Weihnachtseinkauf

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cipher
Gelöschter Benutzer

Der Weihnachtseinkauf

von cipher am 22.12.2014 16:07

Der Weihnachtseinkauf
Es mußte sein, stellten meine Frau und ich auch dieses Jahr wieder fest. Wie wir uns auch bemüht hatten, einige Dinge mußten doch noch vor den Feiertagen eingekauft werden. Kein Weg führte daran vorbei. So trafen wir unsere Vorbereitungen.

In den frühen Morgenstunden des 23. Dezember schmierten wir etwa drei Dutzend belegte Brote, füllten einige Themosflaschen mit Tee und belebendem Kaffee, packten knapp einen Zentner Konserven sowie Spirituskocher und Trockenspiritus nebst einer Geschirrspülmaschine, einer doppelten Garnitur Campinggeschirrs und zweier warmer Schlafsäcke in den Kofferraum unseres Wagens und weckten dann die Kinder, uns von ihnen zu verabschieden. „Ist es wieder einmal so weit", stöhnte unsere Älteste, denn sie wußte, daß ein anstrengender Tag auf sie wartete. Heute war sie für die Mahlzeiten unserer vier Töchter zuständig, welche meine Frau - die beste Ehefrau von allen - allerdings schon seit Tagen vorbereitet hatte, so daß die Kinder sie nur noch aufwärmen mußten. Wir versprachen, noch vor der für 18:00 Uhr am Heiligabend geplanten Bescherung zurück zu sein.

Schweren Herzens machten mein Schatz und ich uns also auf den Weg. Es war gerade erst halb sechs Uhr morgens und dennoch war die Straße bereits so verstopft, wie - naja, wie immer eben am 23. Dezember. Dennoch schafften wir die immerhin 16 Kilometer in kaum zwei Stunden. Weitere eineinhalb Stunden vergingen, bis wir dann endlich einen Parkplatz erhaschen konnten und so war es kaum neun Uhr, als wir das Ziel unserer Odyssee, den Supermarkt, betreten konnten.

Seltsamerweise hatten wir auch sogleich einen Einkaufswagen ergattern können. Allerdings bemerkten wir dann, warum dieser Einkaufswagen gerade unbesetzt war: drei von seinen vier Laufrollen fehlten und das Führen dieses Konsumgefährts erwies sich als eine außerordentliche Herausforderung an unser fahrerisches Können. Doch aus unserer Erfahrung vom letztjähringen Weihnachtslebens- und Genußmitteleinkauf wußten wir, daß die Rollen bei diesen Einkaufswagen recht einfach zu lösen sind und so hofften wir, hier oder dort einen kurzfristig verlassenen Einkaufswagen zu finden. Da würden wir uns dann die fehlenden Rollen schon besorgen.

Jetzt jedoch galt es zunächst, in den Markt hinein zu kommen. Der von mir laut ausgerufene Alarm „Feuer!!" tat zwar nur kurz seine Wirkung, doch wenigstes erreichten wir, die kurze Verwirrung nutzend und unseren Einkaufswagen wild und im Zickzack durch die drängelnden Massen steuernd, die Einganshalle. Dann ging es wieder nur zentimeterweise voran. Ein nochmaliger Versuch „Feuer" blieb diesmal erfolglos. Uns taten schon die Beine weh, als mir eine Idee kam, die auch meine Frau begeisterte. Sie stieg in den teilamputierten Einkaufswagen, drapierte sich dramaturgisch wirkungsvoll mit heraushängender Zunge und verdrehten Augen in nämlichem Gefährt und ich begann zu rufen: „Bitte, machen sie doch Platz. Meiner Frau geht es sehr schlecht. Wir müssen zum Erste-Hilfe-Raum - dringend - bitte!!!"

Was soll ich sagen: Es funktionierte. Aufgrund der fehlenden drei Rollen zog das Drahtgestell auf dem steinernen Fußboden meterlange Funkenschweife hinter sich her, als ich, scheinbar in höchster Angst um meine Geliebte, wie ein Irrer durch die rasch sich bahnende Gasse fegte. Nach nur einem Abwurf, bei dem meine Frau sich eine Platzwunde und ich mir eine zersplitterte Kniescheibe einhandelte, gelangten wir an den Eingang des Marktes. Geschafft! Meine Frau stieg aus dem Einkaufswagen, was jedoch aufgrund des Gedränges erst nach einigen Mühen gelang.

Dennoch: wir waren drin und hatten kostbare Zeit gespart. Nun ging es ans Einkaufen. Zwischendurch, nebenbei gewissermaßen, schraubte ich an einem herrenlos stehenden Einkaufswagen zwei der Rollen los und befestigte sie an unserem, was dessen Fahrverhalten um 500% verbesserte. Das Gezeter des herbeikommenden vorläufigen Eigentümers ignorierten wir standhaft.

Nach und nach wurde der rollende Korb voller. Eine Rolle hatten wir mittlerweile wieder eingebüßt doch kurz drauf konnte ich nochmal zwei dieser nützlichen Accessoires erwischen und so hatten wir nun einen vollbereiften Einkaufswagen zur Verfügung.

Eine reichlich ausgedehnte Verzögerung gab es an der Fleischtheke. Eine der sehr gestreßt wirkenden Verkäuferinnen hatte wohl versehentlich ihren Daumen mit in ein Wurstpaket gepackt, die betreffende Kundin hatte das jedoch bemerkt und verlangte nun, die gesamte Ware noch einmal verpackt zu bekommen. Erst nach einem schlichtenden Eingriff des Abteilungsleiters konnte der Zwist behoben werden.

Wieder war uns eine der Vollgummirollen in einem unachtsamen Moment abhanden geraten, was mit dem nun voll beladenen Einkaufskorb zu erheblichen Schwierigkeiten führte. Doch bald hatte ich mehrfach Gelegenheit, mir von mehreren Wagen vor der Käsetheke drei! Rollen abzumontieren, derer zwei ich als „Reserveräder" in meinen Jackentaschen versenkte.

Noch einmal problematisch wurde es an der Kasse. Weil die Markthelferinnen mit dem Auspacken der Ware offenbar nicht nachkamen, war häufig versäumt worden, die Ware vorschriftsmäßig auszuzeichnen. Oder sie war falsch ausgezeichnet worden. Das führte in der Folge zu immer neuen Diskussionen und Gipfelkonferenzen. Ein Mann im gepflegten Mittelalter bekam einen Tobsuchtsanfall, als er laut Kassenbon über sieben Millionen Mark zu zahlen hatte. Wie sich nach längerer Überprüfung herausstellte, hatte er versehentlich seine raffiniert gestreifte Krawatte über den Scanner gezogen.
Inzwischen war der späte Nachmittag angebrochen, als auch wir endlich an die Kasse gelangten. In Windeseile bezahlen wir unseren Einkauf und strebten dem Ausgang zu. Man stelle sich vor: ein behender etwa 14jähriger Knabe schaffte es, einen der Vollgummireifen unseres Einkaufswagens in voller Fahrt abzumontieren. Aufgrund der drangvollen Enge waren wir nicht einmal in der Lage, den Knaben an seinem frevelnden Tun zu hindern. Meine Protestrufe ignorierte er mit höhnischem Grinsen. Als ich nach diesem Attentat zu meinen Ersatzreifen griff, stellte ich fest, daß man sie mir aus der Tasche gestohlen haben mußte. Geld und Kreditkarten waren noch an ihrem Platz, nur die beiden Rollen nicht mehr.

Der Weg über den Parkplatz zu unserem Wagen zog sich. „Stop and go" kamen wir Schritt für Schritt vorwärts. Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen. Meiner Frau und mir begann es kalt zu werden. Und das gemütliche Auto war noch so weit.

Doch endlich, endlich langten wir nach einigen Umwegen an. Nach kaum einer Stunde Wartezeit ergab sich für einige Millisekunden genügend Platz, um die Kofferraumklappe öffnen zu können und erleichtert begannen wir, unsere Ware umzuladen.

Den Einkaufswagen schnappte sich, kaum daß er geleert war, irgend jemand und verschwand damit in der Menge. Uns sollte es recht sein.
Ich ließ den Motor unseres Wagens an, um den Innenraum etwas warm zu bekommen, in weiser Voraussicht hatten wir noch auf dem Herweg getankt. Meine Frau begann, auf dem Spirituskocher das Essen zuzubereiten - herzhafter Erbseneintopf stand auf dem Speiseplan. Nach einem leckeren Dessert rollten wir uns in unsere Schlafsäcke und sanken bald darauf in tiefen Schlaf.

Mehrfach wachte ich in der Nacht auf und sah nach draußen. Es bot sich jedesmal das gleiche Bild: Autos, die weder vor noch zurück konnten, vereinzelt noch Kunden, die mit müden Schritten ihren Autos zustrebten, der Supermarkt lag lange schon im Dunkel.

Gegen fünf Uhr etwa schien sich das Chaos der Fahrzeuge etwas zu lichten. Ich weckte meine Frau und nach einem einigermaßen frugalen Heiligabend-Frühstück sowie einer gleichermaßen bescheidenen Morgentoilette reihten wir uns ein in den schier endlosen Strom der Fahrzeuge. Hin und wieder mußten wir behutsam an einem liegengebliebenen Wagen vorbei jonglieren - meistens war dessen Fahrer völlig übermüdet eingenickt. Mitarbeiter des Roten Kreuzes waren unterwegs und teilten heißen Kaffee, aufmunternde Worte und Tee an die Autofahrer aus.

Als wir die Ausfallstraße aus der Stadt gewannen, war inzwischen die Sonne aufgegangen. Es war acht Uhr geworden und wir hegten die Hoffnung, möglicherweise schon um die Mittagszeit zu Hause sein zu können. Einige Passanten liefen - was heißt, liefen, sie schlurften mit müden Schritten - stadtauswärts mit vollbepackten Einkaufswagen. Das Warten auf dem Kaufhausparkplatz muß ihnen zu lang geworden sein. Oder waren sie vielleicht wirklich zu Fuß einkaufen gewesen?

Wie wir gehofft hatten, erreichten wir, erschöpft, aber glücklich, den Einkauf überstanden zu haben, unser trautes Heim, wo unsere Kinder uns überglücklich in die Arme schlossen.

Wissen Sie was, ich schwör's: nächstes Jahr machen wir das irgendwie ganz anders.
                                                                                                                                                                                     (Urheberrechte verbleiben bei Cipher)

Antworten Zuletzt bearbeitet am 22.12.2014 16:08.

Wintergruen
Gelöschter Benutzer

Re: Der Weihnachtseinkauf

von Wintergruen am 23.12.2014 10:58

Hahaaaaaaaaaaaa Cipher...sitze gerade im Wartezimmer im KH und gehe mit meinem Handy online ..lese diese Kurzgeschichte und muss so richtig innerlich lachen....einfach toll.....Lieben Gruß

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RallePe
Gelöschter Benutzer

Re: Der Weihnachtseinkauf

von RallePe am 25.12.2014 10:06

Hallo cipher,

da wart ihr mit eurem Einkauf ja richtig schnell ..., ich hätte bestimmt bis zum 2. Feiertag gebraucht



Ein gesegntes Weihnachtsfest
RallePe

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