Glaube und Tod
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ignats
Gelöschter Benutzer
Re: Glaube und Tod
von ignats am 07.07.2020 22:44Da sitzt er nun auf seiner Terasse auf der Bank, die er selbst gezimmert hat so festgefügt und stabil, als solle sie ewig halten. Aber das war eigentlich unnötig, denn jetzt rundet sich sein Leben. Er habe, so sagte man ihm, noch wenige, vielleicht einige Monate zu leben. Leber und Nieren seien am Ende ihrer Möglichkeiten, das Herz habe keine Kraft mehr. Der Krebs hat ihn ausgezehrt, ein paar Herzoperationen verhalfen ihm zu einigen zusätzlichen Jahren. Doch nun, da er da so sitzt in der trockenen Mittagswärme und von unten, aus der Stadt her, das Rauschen und Brummen des Verkehrs hört, hat er sich damit abgefunden, dass er vielleicht auch die 82 nicht mehr auf seinem Geburtstagskalender stehen haben wird. Eine Ruhe und Gelassenheit und ein Friede hat ihn erfasst, die ihm Zeit seines Lebens selten anzumerken war. Immer sprühend vor Lebenslust, immer den Kopf voller Ideen (und Blödeleien), die Muskeln voller Kraft und das Herz voller unbändiger Sehnsucht - so kenne ich ihn, so kennen ihn seine Kinder und vor allem seine Frau.
Zwölf Jahre war er, als er mit einem Teil seiner Familie aus Pommern fliehen musste. Der älteste Bruder irgendwo in den Gefangenenlagern der Russen, der jüngere Bruder schon weit weg im Westfälischen, die zweite Schwester - ach mein Gott, was sie ihr nur angetan hatten - und nun alle auf der Flucht, Flucht, bis sie in Holstein ankamen. Der Vater überstand die Strapazen nicht lange und ließ die Mutter mit den Kindern allein zurück. Das Leben war hundsgemein schwer - aber der Glaube der Mutter hielt eisern am Herrn fest, die Geschwister nicht weniger. Gott der Herr war in aller Schwere, allem Leid der zentrale Halt der Familie geblieben.
Die Nachkriegszeit wirbelte sie hin und her durch Deutschland und schließlich, kurz nachdem seine älteste Schwester und ihre Familie nach Canada gingen, und er alt genug war, hielt ihn nichts mehr in diesem zerstörten Land. Er packte seine wenigen Habseligkeiten und dampfte ab, seine junge Frau folgte ihm wenig später. Canada - das große, große Land.
Zu zweit packten sie das Leben an. Eine angenehm warme Wohnung: "Endlich muss ich nicht mehr frieren", schrieb er bei 30°C Frost an seine Familie in immer noch zerstörten Deutschland. Er fand Arbeit, Freunde, sie kauften ein Haus, drei Kinder wurden ihnen geboren. Über allem und allen wachte der Herr, dem sie immer wieder lobten und priesen über seinen Segen. Und er segnete sie reich. Sie hatten eine Farm gekauft, weiter im Westen, dann waren sie ins Okanagan Tal gezogen mit einem Klima, wie im Süden Italiens und milden Wintern. Die drei Kinder gediehen prächtig, studierten und lernten, gründeten eigene Familien und nun sagen sechs Enkel, die selbst kein Wort Deutsch mehr sprechen, dennoch "Opa" zu ihm.
Der Vater, sagt er, habe ihm schon gefehlt. Er habe ihm manches nicht vermitteln können, was er gebraucht hätte, deswegen sei sein Weg manchmal holperiger gewesen, als nötig. Aber treu auch in den dunklen Stunden hielt Gott an seiner Seite und seine Frau mit ihm.
Er war ein Dickschädel, mein Onkel. Er nahm kein Blatt vor den Mund, er konnte verletzend sein, oft ungewollt. So war er. Und strotzte vor Kraft, die ihn in den letzten Jahren mehr und mehr verließ. Bei immer mehr Verrichtungen war er auf Hilfe angewiesen. Er war ein Künstler - was er an Holz in die Hand nahm, verwandelte er in ein handwerkliches oder bildliches Kunstwerk. Bilder schnitzte er und Häuser baute er und ein riesiges, hölzernes Portal für das Haus seiner Gemeinde.
Nun sitzt er auf seiner Terasse, die er noch vor wenigen Jahren erneuern musste, weil der Hagel das Dach zerschlagen hatte, und genießt, wie der Fühling im Okanagan alles zum Grünen und Blühen bringt. Und sagt, dass die mehr als achtzig Jahre dann auch genug sind, wenn es nun einmal so sein solle. Den Ärzten habe er das Nötige geschrieben, "dass sie mich in Frieden gehen lassen sollen", wenn es so weit sei.
Er hat seinen Frieden, das weiß ich. Mir ist weh, weil ich weiß, dass ich ihn hier nicht mehr wiedersehe. Aber ich gönne es ihm, dass er die Seinen wiedersehen wird, den so früh gestorbenen Vater, die Mutter, die sich allein mit den Kindern durch die Nachkriegsjahre schlagen musste und seine sämtlichen Geschwister. Er sagt es nicht, weil er darüber selten spricht. Aber ich bin sicher, er freut sich darauf, weil er weiß, wohin er geht. Und ich beneide ihn, weil er seine Mutter wohl eher wiedersieht, als ich die "Oma", die ich nie kennengelernt habe. Aber ich habe viele ihrer Briefe gelesen, die sie in den Nachkriegsjahren ihren Kinder schrieb. Vor allem von der größen Sehnsucht, ihren Ältesten - meinen Vater - noch sehen zu dürfen. Was ihr auch gegönnt war.
Ich freue mich darauf, diese unglaublich tapfere, starke Frau endlich kennen zu lernen. Auch wenn es noch ein bisschen dauern mag. Dann warte ich eben.
Auf das Leben....
Nein! Angst habe ich keine. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und ich freue mich darauf, zu ihm zu dürfen. Ich freue mich darauf, mit meiner Frau endlich sorglos beisammen sein zu können. Endlich unsere beiden Söhne kennen zu lernen, die wir hier nie kennen lernen konnten. Den Großvater und seine Frau, die ich nur aus Erzählungen kenne. All die Menschen, die Gottes Wort uns vorstellt, in deren Leben die Schrift uns mitten eintauchen ließ. Was müssen sie erlebt haben in hunderten von Lebensjahren? Den ollen Paulus, der vom Gottestgegner zu einem der großen Apostel wurde, die Jünger Jesu ...
Doch, ich freue mich darauf, wenn es endlich losgeht - das Leben.
Re: Glaube und Tod
von Cosima am 10.07.2020 18:14Hallo Ignats,
diesen Bericht über deinen Onkel, den fand ich sehr gut. Vielen Dank dafür.
Ja, ich bin in einem Alter, in dem man sich auch über den Abschied vom
Leben Gedanken machen muss. Ich habe keine Angst davor und freue mich
auf die Ewigkeit.
Mir ist aus dem vorigen Jahr ein schönes Erlebnis in Erinnerung.
Das möchte ich mit euch teilen.
Die Eltern meines Schwiegersohnes, hatten vor, ihre Diamantene Hochzeit
zu feiern. Dazu hatten sie mich Anfang Februar 2019 eingeladen und ich
habe mich darauf gefreut.
Eine paar Tage vor dem Fest ruft mein Schwiegersohn an: „Heute musste
ich meine Mutter ins Krankenhaus bringen. Es ist ihr nicht gut gegangen und
sie hatte so eine gelbe Hautfärbung."
Bauchspeicheldrüsenkrebs wurde diagnostiziert.
Die Diamantene Hochzeit wurde am 1. Mai nachgefeiert, zusammen mit
ihrem 80. Geburtstag. Sie war fröhlich und wie immer lieb und alle haben
ihre Gegenwart sehr genossen.
Sie hatte sich ganz bewusst entschieden, keinerlei Behandlung zu nehmen,
nur eventuell Schmerzmittel und Erleichterung, wenn die Beschwerden
zunehmen.
Ich besuchte sie im Krankenhaus, als das Ende absehbar war. Wir waren
zwei Stunden beieinander und es war für mich so eine kostbare Zeit, mit
ihr zusammen zu sein. Sie sagte ganz fröhlich und bewusst: „Weißt du,
ich hatte ein gutes Leben, habe viel Schönes erlebt und bin sehr dankbar
für jedes Jahr. Nun gehe ich gerne heim, in die Ewigkeit."
Sie hatte kein leichtes Leben, das weiß ich, aber in ihren Gedanken war
nur das Gute gespeichert.
Wir haben uns herzlich verabschiedet, und auf den Himmel gezeigt:
Dort werden wir uns wiedersehen! Darauf freuen wir uns!
Herzliche Grüße von Cosima.
Die Liebe gibt nie jemand auf, in jeder Lage vertraut und hofft sie für andere; alles erträgt sie mit großer Geduld. 1.Kor.13:7 GNB
Burgen
Gelöschter Benutzer
Re: Glaube und Tod
von Burgen am 11.07.2020 00:15Dieses "Heft" hatte Ignas eingestellt. Und gerade las ich diesen Vorspann von Corona und die Gedanken dazu.
Ganz besonders sprach mich die Bibelarbeit an zum Thema: Die Entrückung der Gläubigen.
Vielleicht hilft es uns auch hier bei glaube-community neu Mut zu bekommen.
Und mehr als vielleicht bisher genau dies zu erwarten.
Jesus kommt wieder - und egal ob es noch 100 Jahre hin ist oder für uns selbst und unsere Lieben
in den nächsten 5 Minuten sein wird; ich will in die Arme Gottes genommen werden.
Das bedeutet eben auch, die Spannung aushalten zu wollen und freudiger Erwartung sein, wie bei der Geburt eines Kindes.