Wie das Bärenspray erfunden wurde
[ Nach unten | Zum letzten Beitrag | Thema abonnieren | Neueste Beiträge zuerst ]
cipher
Gelöschter Benutzer
Wie das Bärenspray erfunden wurde
von cipher am 17.07.2014 22:29In Nordamerika kann man Bärenspray kaufen. Es soll - so kann man lesen - lästige Bären vertreiben. Wir haben es nie ausprobiert - es war nie notwendig. Was man keinesfalls kann: Dem Bären davonlaufen. Die Burschen sind nicht halb so gemütlich, wie sie aussehen.
Was ich nun weiß ist, wie das Bärenspray erfunden wurde...
"Ja", nuschelte der alte Mann in seinen hochgeschlagenen Jackenkragen, als er mit einem Stock im Feuer herumstocherte, "ja, der alte Henry ist ein ein ganz besonderer Vorgel! Hier herum ist er inzwischen zu einiger Berühmtheit gelangt. Seitdem er damals die neue Abschreckungswaffe "Bärenschreck" erfunden hat, spricht man im ganzen Norden von ihm".
Der Alte ließ sich Zeit und wir nötigten ihn nicht, denn wir hatten es auch nicht eilig. Wir saßen, warm in Pullover und Jacken eingewickelt, neben unserem Camper, wo wir ein Lagerfeuer entzündet hatten. Canada und Lagerfeuer - eines ist gar nicht ohne das andere denkbar. Und hier wurde es am Abend ziemlich kalt.
Der Alte stand mit seinem uralten Pickup-Truck schon hier, als wir uns den Platz aussuchten. Als wir unseren Camper abgestellt hatten, dauerte es nicht lange, bis seine mittelgrße Gestalt zwischen den Büschen hindurch sichtbar wurde und sich auf uns zu bewegte. Unsere Fahrzeuge waren die einzigen hier und jetzt, als sich über den neblig-feuchten Tag die späte Nacht zu senken begann, werden wir die einzigen auf einige hundert Kilometer gewesen sein. Kaum jemand, der alle Sinne beieinander hat, fährt den Dempster bei Nacht. Das letzte, was wir von der "Straße" wahrgenommen hatten war, wie ein großer Truck mit seinen knallenden Jakebrakes versuchte, den Hügel hier in den Ogilvies nicht zu schnell herunter zu fegen. Jetzt war es still - herrlich still, erhaben still.
Der Alte - wir kannten seinen Namen noch nicht einmal - hub wieder an: "Wie der Henry in den Norden geraten ist, das war auch so eine Sache. Außer mir, glaube ich, weiß es niemand." Wie sahen ihn freundlich an. "Er ist nämlich vor etlichen Jahren mit einem Flugzeug abgeschmiert. War 'ne etwas größere Passagiermaschine. Kam irgendwie in Schwierigkeiten, konnten die Höhe nicht halten und stürzten ab. Ziemlich weit in den Richardson Mountains. Nur einer hatte den Absturz überlebt. Henry." Jetzt fing der Alte an zu schmunzeln, dann lachte er heiser. "Ich war bei den Leuten, die ihn fanden. Wir besserten den Highway aus und sahen, wie die Maschine runterkam. Aber es brauchte Stunden, bis wir dort waren. Sah schlimm aus. Alles zertrümmert und zerfetzt, einige Stücke rauchten noch." Des Alten Lachen verstummte abrupt. "Schlimm, wenn man sowas noch nie gesehen hat, wirklich schlimm, da graust es einem."
Nach einer Schweigeminute fuhr er fort: "Wir suchten die Gegend um die größten Trümmer ab, als wir einen schwachen Hilferuf hörten. Nach einer Weile fanden wir Henry." Hier begann der Alte, wieder sein heiseres Lachen. "Als die Maschine in Schwierigkeiten geraten war, saß er gerade auf dem einzigen Lokus, den es in der Maschine gab. Sowas leichtes, eine Kloschüssel aus Blech. Irgendwie hatte die kleine Kabine ihn geschützt, als das Flugzeug auseinanderflog und er flog samt der Schüssel einige Meter weit. Aber", und jetzt lachte er, dass ihm das Wasser aus den Augen spritzte, "da hatte sich sein Hinterteil in der Blechschüssel verkeilt. Er konnte sich nicht befreien und war, Hosen runter, noch immer auf dem Lokus. Nur", er unterbrach und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht", dass er auf der Seite im Kraut lag, und sich nicht rühren konnte. Und wir konnten ihn nicht aus dem Ding befreien. War nix zu machen. So transportierten wir den armen Henry so, wie er war, zur Baustelle zurück. Dort hatten wir Werkzeug und würden ihm das Ding schon irgendwie losmachen können."
Meine Frau sah mich an, und ich sie. Das Zucken um ihre Lippen löste bei mir eine kleine Lachsalve aus und so gröhlten wir drei jetzt alle zusammen los. Allein schon die Vorstellung ...
Als wir wieder ruhiger geworden waren, wollte ich wissen: "Und? Habt ihr das Ding losbekommen?" "Jaja, war kein Problem mit den richtigen Werkzeugen. Nur - einer von uns, der hatte so 'nen Fimmel. Der fotografierte alles und jeden, der ihm vor die Linse kam. Der machte ein paar Fotos von Henry, als der noch in der Schüssel festgeklemmt war. Ein paar Tage später ließ er die Bilder in Dawson entwickeln und verkloppte die Fotos an eine Zeitung. Aber das erfuhren wir erst später. Naja, jedenfalls bekamen wir Henry aus der Schüssel, er hatte nur leichte Verletzungen. Nachdem er sich erholt hatte, brachten wir ihn in eine unserer Hütten und am nächsten Tag konnte er mit einem südwärts fahrenden Truck wegkommen."
"Was war mit den Fotos?", wollte meine Frau wissen. "Tja", grinste der Alte, "der Bursche kam aus den Staaten. Dort war das Bild durch alle möglichen Zeitungen gegangen. Schon auf dem Flughafen in Spokane wurde er begrüßt - mit einem Haufen Menschen und Plakaten, die ihn in der Schüssel zeigten. Da hat er sich so geniert, dass er die nächste Maschine nahm, und nach Whitehorse zurückkehrte. Er ging in den Bush, sowas gibt es manchmal heute noch."
"Und was ist mit dem Bärenschreck"?, wollten wir wissen. Unser Gast schmunzelte ein wenig. "Bären sind ja ziemlich unberechenbar. Man sollte ihnen nicht unbewaffnet begegnen. Dafür gibt es heute schon eine Weile Bärenspray, das teibt die meisten dieser Burschen in die Flucht. Aber damals gab es das nicht. Henry dachte sich was aus. Er fing einen Skunk und machte ihn handzahm. Machen die Leute heute ja auch noch. Die fangen mehr Mäuse, als 'ne gute Katze. Und ohne die Drüse sind die Skunks brauchbare Haustiere. Aber er ließ dem Vieh seine Drüse. Wenn er in den Bush ging, folgte ihm das Biest bald auf Schritt und Tritt. Vermutete Henry einen Bären in der Nähe, schnalzte er mit der Zunge und nahm den Skunk unter den Arm. Schwanz nach vorne. Mit seiner freien Hand hielt er den Schwanz hoch. Wehe dem Bären, der ihm nun zu nahe gekommen wäre. Der Strahl aus der Drüse eines Skunks lässt sie bis zum Nordmeer laufen. So hatte Henry seine Ruhe vor Bären. Nur einmel", schloss der Alte seine Erzählung", nur einmal ging das schief. Henry wollte seine Hütte reparieren, als er ein Geräusch hörte. Er gab dem Vieh ein Zeichen, und es kam sofort zu ihm. So aus dem Augenwinkel sah Henry gerade noch eine Bewegeung, drehte sich um, hob den Schwanz von dem Skunk hoch, und der schoss einen laangen Strahl - direkt auf einen Forestranger, der nach ihm sehen wollte, ob es ihm noch gut ginge. Na, da hatte er seinen Spaß."
Noch etwas bewegt und schmunzelnd saßen wir am langsam herunterbrennenden Feuer. Schließlich reckte sich der Alte und sah auf seine Uhr, die ihm um den Hals hing. "Ich muss noch etwas in die Falle", brummelte er und erhob sich ächzend. Dann schlurfte er die wenigen Schritte zu seinem Platz hinüber. Plötzlich hörten wir ein Schnalzen seiner Zunge. Wie ein Schemen trippelte ein kleines Tier neben uns durch den Schein der vergehenden Glut. Einen knappen halben Meter lang, längs gestreift, lief es auf seinen kurzen Beinchen zu dem Alten. Der nahm es auf den Arm und verschwand in der Cabin seines Campers.
Meine Frau und ich sahen einander ziemlich verdattert an. In unser Beider Augen standen Fragezeichen. Dann sagten wir gleichzeitig: "Das war Henry".
Langsam-eilig erhoben wir uns, löschten das Feuer und begaben uns in unser Motorhome. Kurz bevor ich mich richtig in die Decken gerollt hatte, stand ich noch einmal auf, und kontrollierte die Tür. Sicher ist sicher.
Urheberrechte bleiben bei mir.
Rapp
Gelöschter Benutzer
Re: Wie das Bärenspray erfunden wurde
von Rapp am 17.07.2014 22:55In Lappland brachte uns ein alter Salbenmischer bei, dass er ein Allerweltsheilmittel aus der Bärengalle empfehlen könne: es wirke derart perfekt praktisch bei jedem Leiden: Keiner, dem er sein Wundermittel angedreht hatte benötigte je eine zweite Flasche davon. Nicht verwundelich: das Zeug schmeckte derart scheußlich, dass man lieber Schmerzen in Kauf nahm als diese Tortur ein zweites Mal über sich ergehen zu lassen. Beim Gedanken an die Medizin verschwanden die Beschwerden wohl von selbst... Der alte Pirtsi aber wertete es als sein großes Verdienst!
Willy, der gern an seine Zeit auf "Nordkalotten" zurück schaut.