wie umgehen mit Zweifeln an Paulus und Lukas ?

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Suchender

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wie umgehen mit Zweifeln an Paulus und Lukas ?

von Suchender am 10.08.2025 15:13

Liebe Christinnen und Christen,

da ist etwas, das mich seit Monaten beschäftigt :

Der Gedanke von Dr. Eugen Drewermann, das Alte Testament als „wahres Märchen" zu begreifen, hat mir einen inneren Zugang zu den alten Texten eröffnet – jenseits historischer Genauigkeit, aber voller geistiger Wahrheit.
Doch dieser befreiende Zugang hat zugleich eine Vertrauenskrise gegenüber dem Neuen Testament ausgelöst.
Die dreifache Erzählung von Paulus' Damaskuserlebnis in der Apostelgeschichte (Kapitel 9, 22 und 26) irritiert mich zutiefst. Ich verstehe, dass Lukas diese Berichte für unterschiedliche Gemeinden – etwa in Ephesus, Rom oder Galatien – kontextuell angepasst haben mag.

Doch die Widersprüche in zentralen Details erschüttern mich:
Mal hören die Begleiter die Stimme, mal nicht; mal sehen sie Licht, mal nichts. Paulus erscheint mal als einziger Betroffener, mal nicht.
Ich muss es klar benennen:
Mindestens zwei dieser Darstellungen können nicht der Wahrheit entsprechen. Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier literarische Dramaturgie über Wahrhaftigkeit gestellt wurde.
Ich erwarte keine sterile Faktenberichterstattung, aber ich sehne mich nach redlichem Umgang mit Ursprung, Intention und theologischer Botschaft. Wahrheit ist für mich untrennbar mit Vertrauen verbunden.

Das Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht" bekommt plötzlich Gewicht für meine Betrachtung des gesamten Lukasevangeliums :
Wenn der Autor bereit ist, an solch zentraler Stelle die Wahrheit zu beugen – sei es aus theologischer Absicht oder rhetorischem Kalkül –, wie kann ich dann noch mit ungebrochenem Vertrauen seine Schilderungen über Jesu Leben, Wirken und Auferstehung lesen?
Besonders irritierend ist, dass nur Lukas von einer angeblichen Erblindung des Paulus berichtet – Paulus selbst erwähnt diese in seinen Briefen nicht.

Diese Erzählung scheint vielmehr einem literarischen Topos der hellenistischen Welt zu entstammen:
Das Motiv „blendendes Licht → Blindheit → Erkenntnis" begegnet uns in Mythos, Philosophie und Mysterienliteratur immer wieder:

Tiresias wird geblendet und erhält dafür die Gabe der Weissagung.

Ödipus blendet sich selbst – und gewinnt tiefes Verständnis für Schuld und menschliches Los.

Sophokles' Antigone zeigt Blindheit als Strafe und zugleich als Vorstufe zur Selbsterkenntnis.

Platon lässt in der Politeia einen Gefangenen aus der Höhle ins Licht treten – zunächst geblendet, dann erkenntnisfähig.

Homer, der mythisch blinde Dichter, steht für innere Schau jenseits der sinnlichen Wahrnehmung.

Orphiker und Neuplatoniker beschreiben die Seele, die durch göttliches Licht geblendet wird, um zur höchsten Einsicht zu gelangen.

Römische Mysteriendichtung kennt die rituelle Dunkelheit vor der Erleuchtung.

Und nun Lukas?
Für mich wirkt es, als bediene er sich bewusst dieses literarischen Musters, um Paulus' Berufung als übernatürliche Offenbarung zu inszenieren.
Je intensiver ich mich mit Paulus und Lukas beschäftige, desto mehr verborgene Widersprüche und irritierende Details treten zutage. Etwa, dass Paulus stets sein eigener Zeuge ist – und von einer „Hand zur Gemeinschaft" mit den Jüngern Jesu berichtet, während diese ihn mit keinem Wort erwähnen.
(Die Stelle im 2. Petrusbrief (Kap. 3, V. 15–16) ist dabei irrelevant, da der Brief erst im zweiten Jahrhundert von einem unbekannten Autor verfasst wurde.)

Ich bin – posthum – wütend auf Paulus und Lukas. Es fühlt sich an, als würden beide meinen Verstand beleidigen.
Denn ich suche die unverfälschte Wahrheit. Ich will glauben können, ohne in jeder Erzählung nach Ausschmückungen, versteckten Absichten oder stilistischen Manipulationen suchen zu müssen. Die Schrift sollte ein Fundament des Vertrauens sein – kein Rätselspiel.
Meine Frage an euch lautet daher:

Wie kann ich mit dieser Vertrauenskrise gegenüber der Wahrheit des Neuen Testaments umgehen?
Läge die Lösung darin, das Neue Testament selektiv zu lesen – also nur jene Texte, die innerlich kohärent und glaubwürdig erscheinen und deren Autorenschaft gesichert ist?
Dann allerdings fielen sämtliche Paulusbriefe, das Lukasevangelium, die Apostelgeschichte und weitere Schriften (etwa der zweite Petrusbrief) weg ...

Ich danke euch im Voraus für eure Gedanken

Antworten
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